Den Kanon Aufbrechen Die Deutsche Jahrhundertausstellung in der Nationalgalerie
Nationalgalerie, Berlin, Ansicht von Osten, links das Neue Museum, Aufnahme 1881
Mit der Deutschen Jahrhundertausstellung wird Caspar David Friedrich 1906 wiederentdeckt. Viele seiner Werke waren zu dem Zeitpunkt noch in Familienbesitz. Andere befanden sich in Privatsammlungen. Nur wenige seiner Bilder waren als Teil von Museen öffentlich zugänglich.
Dazu gehört das Bilderpaar Der einsame Baum und Mondaufgang am Meer in der Berliner Nationalgalerie.
Das ist dem Berliner Bankier und Sammler Joachim Heinrich Wilhelm Wagener zu verdanken. In seinem Testament vermachte er seine Kunstsammlung 1861 dem preußischen König – unter der Bedingung, dass dieser eine Nationalgalerie errichte. So wurde die Sammlung Wagener, und mit ihr Der einsame Baum von Caspar David Friedrich, zum Grundstein der heutigen Alten Nationalgalerie in Berlin.
Schon der Gründungsgedanke stand im Geist der Moderne: Die Nationalgalerie wurde mit ihrer Öffnung 1876 das erste Museum auf nationaler Ebene für zeitgenössische Kunst.
Als Teil der Wagenerschen Sammlung ging auch Friedrichs Bildpaar im Bestand der Nationalgalerie auf und war dort ab 1876 permanent ausgestellt.
Dazu heißt es im Katalog zur Deutschen Jahrhundertausstellung:
»Die Nationalgalerie hat in ihrem alten Bestand zwei Bilder und ein drittes wurde vor wenigen Jahren dazu gekauft, auch für die [Hamburger] Kunsthalle wurden in der letzten Zeit mehrere Werke von ihm erworben und ein andres, eines der schönsten, hängt seit langem im Weimarer Museum. Aber sie sprechen eine so leise Sprache, dass das eilige Galeriepublikum achtlos daran vorüberging.«
– Hugo von Tschudi, in: Ausst.-Kat. Nationalgalerie, Berlin 1906, Bd. 1, S. XXVIf.
Blick in die Ausstellung der Nationalgalerie, westlicher Saal mit Werken aus der Sammlung Wagener, Aufnahme 1879
Bahnbrechend modern: das Konzept der Deutschen Jahrhundertausstellung
Nach französischem Vorbild sollte die Ausstellung eine Übersicht über 100 Jahre Kunst in Deutschland geben. Insbesondere Künstler*innen, die nicht dem akademischen Geschmack folgten, weniger erfolgreich oder weniger bekannt waren, sollten hier eine Bühne bekommen.
Der Zeitraum 1775–1875 war wohl ganz bewusst gewählt, um dem Establishment des Berliner Kunstbetriebs um 1900 nicht zu nahe zu treten.
Nicht ohne Komplikationen kuratierten die Ausstellung letztlich: Hugo von Tschudi, Direktor der Nationalgalerie Berlin, Alfred Lichtwark, Direktor der Hamburger Kunsthalle, und Woldemar von Seidlitz, Vortragender Rat in der Generaldirektion der Königlichen Sammlungen in Dresden. Auch der Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe war beteiligt.
Als Gegenpol zur vorherrschenden Malerei, der vom Inhalt dominierten Historienmalerei, schlugen die Kuratoren mit ihrer Werkauswahl eine andere Lesart der Kunstgeschichte vor. Sie suchten in der deutschen Kunstproduktion von 100 Jahren nach einer Kunstentwicklung nach malerischen Kriterien, dem Umgang mit Fläche, Farbe, Licht.