Friedrich im Kontext der Moderne Der einsame Baum

Könnte A nicht für die erzählerischen Details niederländischer Malerei stehen, B für die Radikalität der Farbfeldmalerei und C für impressionistische Leichtigkeit? Könnte – doch in Wirklichkeit ist alles gleich modern! Die Abbildungen A, B und C zeigen nämlich alle Details aus einem einzigen Bild:

Gemälde von Caspar David Friedrich mit dem Titel „Der einsame Baum“, gemalt im Jahr 1822.

Der einsame Baum entstand im Auftrag des Berliner Bankiers Joachim H. W. Wagener. Er bestellte bei Friedrich ein Bilderpaar zum Thema der Tageszeiten. Angelehnt an die mittelalterliche Tafelmalerei spricht man auch von einem Diptychon.

Erst in der Gegenüberstellung der beiden Bilder erschließt sich ihr Inhalt: Der einsame Baum strahlt die unberührte Frische eines Morgens aus, Mondaufgang am Meer die Stille eines sich neigenden Tages. Die Landschaft wird so zur Trägerin von (subjektiver) Empfindung und Gefühl im Bild.

Zu Friedrichs Zeiten war dieser Ansatz im Sinne einer romantischen Kunsttheorie radikal modern. Prägend war dafür der Künstler und Freund Friedrichs, Philipp Otto Runge. Ihm zufolge konnten abstrakte Begriffe wie »Gott« oder »Freiheit« nicht länger in eindeutig lesbaren Bildern, zum Beispiel durch Allegorien, dargestellt werden. Stattdessen sollte die bis dahin zweitrangige Landschaftsmalerei die Einheit des Menschen mit der Natur wiederherstellen und das subjektive Gefühl transportieren.

Gemälde von Caspar David Friedrich mit dem Titel „Der einsame Baum“, gemalt im Jahr 1822.
Caspar David Friedrich, Der einsame Baum, 1822, 71 x 55 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Foto: Jörg P. Anders, Public Domain Mark 1.0
Gemälde von Caspar David Friedrich mit dem Titel „Mondaufgang am Meer“, gemalt im Jahr 1822. Das Bild zeigt eine Küstenlandschaft, im Vordergrund sitzen drei Menschen auf einem Felsen und schauen, uns abgewandt, in den farbenprächtigen Sonnenuntergang am Horizont.
Caspar David Friedrich, Mondaufgang am Meer, 1822, Öl auf Leinwand, 71 x 55 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Foto: Jörg P. Anders, Public Domain Mark 1.0

Caspar David Friedrich war nach seinem Tod 1840 schnell in Vergessenheit geraten. Doch um die Wende zum 20. Jahrhundert änderte sich etwas – in der Kunst selbst und in der Wahrnehmung Friedrichs. Es entstand eine neue Kunst.

Sie wollte die vorherrschende abbildlich-illusionistische Malerei überwinden und andere Prinzipien von Farbe und Form erkunden. Diese moderne Kunst heißt heute Klassische Moderne.

Im Klima der künstlerischen Erneuerung empfand man Friedrich als modern, obwohl seine Kunst bereits fast 100 Jahre alt war

Damals wurde Friedrich »wiederentdeckt« – auf der Jahrhundertausstellung deutscher Kunst (1775–1875) in der Berliner Nationalgalerie. Sie zeigte zwar keine zeitgenössische Kunst, und doch wollte sie die Kunst der damaligen Gegenwart, insbesondere den Impressionismus, durch einen Blick zurück erklären, stärken und populärer machen.